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Die Geheimprojekte im Forschungsbunker des Fliegerhorstes Grossostheim

Auszug aus dem Buch “Großostheim in den Kriegsjahren 1939 -1945”

Kapitel Fliegerhorst 20/XII, Seite 94 ff.


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Viele Mythen ranken sich um die Luftwaffen-Forschungsstelle des Fliegerhorstes Grossostheim. Schon 1942 ließ das Reichsluftfahrtministerium einen 265 Quadratmeter großen und mit meterdicken Betonmauern geschützten Forschungs-Bunker bauen. Der Bau war so geheim, daß nicht einmal die Grossostheimer Gemeindeverwaltung eingeweiht war. Bei der Einwohnerschaft kursierte das Gerücht, es würde ein Konzentrationslager gebaut. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Dr. Karl A. Egerer arbeiteten Dr. Bartels, Dr. Hülsch, Dr. Bruno Touschek, Dr. Fenner, Dr. Kratzenstein, und ein Herr Malchow sowie militärische und zivile Stabspersonen an zwei höchst geheimen Projekten: einer Röntgenstrahlbündel-Flak und der Weiterverwertung des sogenannten Strahlentransformators in eine kriegstaugliche Waffe.

Der Erfinder des Strahlentransformators war der norwegische Professor Rolf Wideröe. Er musste auf Druck der Nationalsozialisten (sein Bruder Viggo war  wegen Fluchthilfvergehen im Gefängnis Rendsburg inhaftiert) seine Erfindung Dr. Egerer anbieten, der ihn als Mitarbeiter ins Strahlenlabor nach Grossostheim holte. Auch im feindlichen Ausland wurde an dieser, auch Kreisbeschleuniger genannten, Erfindung geforscht. Aber erst 1940/1941 gelang es dem Physiker Walter Kerst in den USA, einen funktionsfähigen Kreisbeschleuniger mit 2,3 MeV-Teilchenenergie zu bauen, für den er die Bezeichnung „Betatron“ prägte. Als Wideröe 1941 von Kersts Erfolg erfuhr, wandte er sein Interesse voll dem Gebiet der Teilchenbeschleuniger zu. 1943 schlug er, der Entwicklung um Jahre voraus, mit seiner „Kernmühle“ das Prinzip der Speicherringe für die Hochenergiephysik vor. Während der Besetzung Norwegens durch deutsche Truppen wurde sein Bruder Viggo wegen Fluchthilfe inhaftiert, und Wideröe wurde von der deutschen Luftwaffe unter Druck gesetzt, so daß er von 1943 bis 1945 an der, von der Wehrmacht geförderten, Entwicklung eines deutschen Kreisbeschleunigers mitarbeitete. Mit seiner Hilfe gelang es, 1944 bei der Firma C. H. F. Müller in Hamburg, das erste deutsche „Betatron“ mit einer Leistung von 15 MeV in Betrieb zu nehmen.

 

Rolf Wideröe
Hamburg Betatron

Eine Röntgenanlage mit der Leistung von etwas mehr als einer Million Volt wurde daraufhin von einem Krankenhaus in Hamburg auf den Militärflugplatz bei Grossostheim gebracht, um Tests durchzuführen.

Mit einem Strahlentransformator oder „Betatron“ konnte man Röntgenstrahlen von vielen Millionen Volt erzeugen, und dabei würde man im Prinzip eine mit der hohen Energie immer besser werdende Bündelung der Strahlen erreichen und dadurch die Reichweite vergrößern. Das war anscheinend der Grund für das Interesse der Luftwaffe am „Betatron“, denn die in der Defensive und überall auf dem Rückzug befindlichen deutschen Armeen warteten auf die von Adolf Hitler versprochenen Wunderwaffen. Wideröe hatte bis November 1943 einen Dreistufenplan ausgearbeitet, der erst den Bau eines 15-MeV-Betatrons in Hamburg vorsah, dann ein 200-MeV-Betatron und schließlich eine Versuchsstation in Großostheim für noch größere Anlagen. Außer der ersten Stufe blieb alles Weitere Illusion. Zudem kamen die Ingenieure und Techniker schnell dahinter, daß das „Betatron“ am Boden eine weit größere Gefahr darstellte, als für die Piloten und Bomben in feindlichen Flugzeugen.

Ernst Schiebold 1930Auslöser für die Forschungen an der Röntgenstrahlbündel-Flak  war ein recht sonderbarer Brief, der am 5. April 1943 beim Generalfeldmarschall Erhard Milch einging. Milch war seinerzeit Generalluftzeugmeister und Generalinspekteur der Luftwaffe, einer der einflußreichsten Männer unter Hermann Göring. Absender ist Professor Dr. Ernst Schiebold aus Leipzig. Als Begründer der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung war er schon bekannt, aber nun wollte der Gelehrte sein Wissen in den Dienst „der Landesverteidigung im totalen Krieg“ stellen, wie er Milch mitteilte. Und zwar, so diente sich Schiebold an, „mit einem Kampfmittel zur Vernichtung feindlicher Flugzeugbesatzungen und Erdkampftruppen mittels Röntgen- und Elektronenstrahlen.

Mit einigen hundert Röntgenstrahlern lasse sich eine ganze Stadt vor allierten Bombardements schützen, ganz Deutschland mit einigen tausend seiner Strahlenkanonen. Obwohl die von Prof. Dr. Schiebold angegebenen kriegswirksamen Ziele eher denen von Science-Fiction-Autoren glichen, ist Milch beeindruckt. Er gibt grünes Licht, und die Reichsmark fließen in das neue Projekt der Landesverteidigung. Der wegen seiner Intervention zugunsten einer jüdischen Familie in Misskredit geratene Schiebold macht einen Rückzieher, als Erhard Milch seiner Kompetenz als Generalluftzeugmeister enthoben wurde. Bis dato konnte er keinen funktionierenden Vernichtungsstrahler vorweisen. Zwischen Beginn und Abgesang der „Luftnummer“ im Herbst 1944 lagen Monate konspirativer Betriebsamkeit, in denen Schiebolds Pläne immer mehr ausuferten. Mal dachte er über die künstliche Ionisierung der Luft nach, um die Zündung in den Flugzeugmotoren zu stören, dann wieder wollte er die Atmosphäre leitend machen, um gezielt Hochspannungsladungen zu erzeugen. Schiebold mußte kurzfristig umdisponieren, als britische Bomber am 4. Dezember 1943 Leipzig angriffen und sein Haus zerstört wurde. Er richtete ein Notlabor ein und verlegte einen Teil seines röntgenologischen Instituts nach Großostheim zur Forschungsstelle der Luftwaffe. Dort wuchs gerade eine Halle über dem Bunker der Luftwaffenforschungsstelle, die später den Strahlungstransformator von Rolf Wideröe aufnehmen sollte, mit dem er experimentieren wollte. Dazu kam es aber nicht mehr, denn das Kuratorium der Forschungsstelle kanzelte ihn im August 1944 ab, „weil keine Aussicht besteht, den Plan von Professor Schiebold für militärische Zwecke nutzbar zu machen.“ Nachdem dessen Widerspruch vom September verhallte, wurde seine „Strahlenkanonen-Vision“ endgültig begraben.

Der Leipziger mit der Wunderwaffen-Idee starb 1963 in Magdeburg, wo er von 1954 bis 1961 einem Institut vorstand. Bis heute läßt die Magdeburger Uni ihn als begnadeten Materialwissenschaftler hochleben, ein Institutsgebäude trägt seinen Namen. Nie zu einem erfolgreichen Ende geführt,  war die eingeleitete Entwicklung für spätere Anwendungen in der Medizin, Kernphysik und Technik von großer Bedeutung.

Rolf Wideröe, dessen Erfindung in der Atomtechnik hätte Verwendung finden sollen, wurde in Anerkennung seiner großen Verdienste um die Entwicklung der Teilchenbeschleuniger 1962 in Aachen zum ersten Ehrendoktor der selbständigen Fakultät für Elektrotechnik ernannt. Er verstarb am 11. Oktober 1996 in der Schweiz.

Viel konkreter war ein anderes Projekt, das ebenfalls im Herbst 1944 auf dem Fliegerhorst Großostheim hastig vorangetrieben wurde. Es war eine 3 km lange Start- und Landebahn für die Me 262. Entwickelt 1938 durch die Firma Messerschmitt, war die Me 262 "Schwalbe“ das erste funktionsfähige Düsenflugzeug der Welt. Zum ersten Mal als reines Strahlflugzeug am 18. Juli 1942 geflogen, war sie mit 914 km/h wesentlich schneller als jedes Feindflugzeug, das die Alliierten aufzubieten hatten. Besatzungen der Bomberflotten wurden inzwischen vor den neuen deutschen Jets gewarnt.

Ein Bomberpilot berichtet: „Wir hörten zum ersten Mal im Oktober 1944 von der Me 262. Sie sagten, daß es ein Düsenjäger sei und der schnellste weit und breit....und als ich dann zum ersten Mal die Me 262 sah, konnte ich es einfach nicht glauben, ich konnte mir nicht vorstellen, was zur Hölle das war! Ich sah die 262er nur als Schemen, bis wir letztendlich nahe an sie herankamen und ich sie als Jets erkannte. Wir hatten nie irgendwelche Anweisungen bekommen, wie wir mit der 262 verfahren sollten, außer „Paßt auf diese Dinger auf“. Hätten die Deutschen darauf gehört, was Galland immer wieder gepredigt hatte, nämlich die Me 262 als Defensivwaffe anstatt als Offensivwaffe einzusetzen, bevor die massiven Bombenangriffe begannen, ihre Anlagen, ihr Öl und Benzin auszuschalten, dann hätten wir zwar immer noch den Krieg gewonnen, aber es wäre eine schlimme Zeit für uns gewesen“ - USAF Captain James Finnegan.

Me-262-71Die hohe Geschwindigkeit stellte sich jedoch manchmal als Nachteil für die Piloten heraus, die Schwierigkeiten hatten, bei den hohen Geschwindigkeiten das Ziel zu treffen, so daß die Me 262 oft abgeschossen wurde, wenn sie zum Angriff die Geschwindigkeit verringerte. Meistens fanden die Abschüsse aber statt, wenn der Pilot zur Landung abbremsen mußte. Insgesamt wurden 1.433 dieser Düsenjäger gebaut, doch der größte Teil der Maschinen kam wegen Treibstoffmangels nicht mehr zum Einsatz; die meisten fielen den Alliierten unbeschädigt in die Hände. Auf dem Luftbild (Buch auf Seite 118) ist die von der Organisation Todt mit Hilfe von ungarischen Zwangsarbeitern errichtete Start- und Landebahn zu sehen. Der Bau der Rollbahn nutzte indes nichts mehr. Die Front hatte inzwischen den Bachgau erreicht und an eine Verteidigung mittels der neuen Düsenjäger war nicht mehr zu denken. Nur zweimal sorgte die Me 262 noch für Aufsehen, als sie die Nilkheimer Eisenbrücke bombardierte, die am 25. März 1945 den Amerikanern unzerstört in die Hände fiel. Die Angriffe blieben jedoch erfolglos.

ME262 Landebahn

Nachtrag:

Einen direkten Bezug zu der Düsenjäger-Startbahn ist in der Samstagsausgabe des Main-Echo vom 11. Februar 1995 nachzulesen. Dort steht unter der Überschrift "Das Kriegstagebuch des Ehrenbürgers Schuck - Die schlimmen Geschehnisse vor 50 Jahren im Bachgau":

"...Zu einem kriegsentscheidenden Bauvorhaben (Abstellbahn auf dem Flugplatz) sollten 300 bis 400 Polen in Pflaumheim untergebracht werden. Als Unterkünfte wurden die zwei unteren Schulsäle und der Saal der Gastwirtschaft Hock ausgewählt. Es wurden Pritschen aufgestellt. Schon am 17. Februar trafen die ersten Polen ein. Sie errichteten in der "Erdkaute" (heute Kfz-Werkstätte Kehrer an der Mömlinger Str.) eine Baracke. Von dort marschierten sie jeden Morgen in ihren Holzschuhen zum Flugplatz. Die Polen versuchten, Rauchwaren und Brot einzukaufen, gegen Überpreise. Im Steinbruch wurden Sandsteine gebrochen und auf Pferdefuhrwerken zum Flugplatz gefahren. Da durch die täglichen Angriffe die Gespanne sehr gefährdet waren, wurden die Steine per Fuhrwerk an den Bahnhof Pflaumheim-Wenigumstadt gebracht, dort auf Waggons verladen und per Bahn zum Flugplatz gefahren....."

Mit diesem Text dürfte jetzt auch klar sein, wann mit der Startbahn begonnen wurde. Schuck wählte den Begriff Abstellbahn, denn damals konnte er sich sicher nicht vorstellen, für was genau diese Bahn gebraucht wurde, da die Flugzeuge bisher nur ein Rollfeld benötigten - bei der ME 262 war das natürlich gänzlich anders. Da sie die Rollbahn mit ihren Düsentriebwerken in Brand stecken konnte, wurde eine befestigte Start- u. Landebahn gebraucht, auf die die ME 262 angewiesen war.